Nach dem Ausschluss wandte sich John zum ersten Mal an eine Anwältin. Frau Fliege, eine renommierte Strafverteidigerin einer der angesehensten Kanzleien der Stadt, nahm das Mandat an. John wollte mit ihr zwei zentrale Fragen klären: Hatte er sich strafbar gemacht? Und wenn nicht – wie konnte er sich künftig vor weiteren Verleumdungen schützen?
Um ihr ein umfassendes Bild zu geben, übergab er der Anwältin ein mehr als 100 Seiten umfassendes Chat-Protokoll mit Iris sowie seine persönlichen Tagebuchaufzeichnungen.
Nach eingehender Prüfung stellte Frau Fliege fest, dass die Aussagen von Iris im Chat-Verlauf mit Johns Tagebucheinträgen und seinen bisherigen Unschuldsbeteuerungen übereinstimmten. Ihr Verhalten, so die Anwältin, erfülle den Tatbestand der üblen Nachrede und wäre grundsätzlich strafbar. Sie riet John zu einer Strafanzeige. Doch John zögerte – er wollte lieber einen Schlussstrich ziehen.
Trotzdem blieb die Sorge, dass Iris ihre Anschuldigungen weiterverbreiten könnte. Deshalb ließ Frau Fliege ihr ein Schreiben zukommen, in dem sie Iris deutlich darauf hinwies, dass sie im Wiederholungsfall mit rechtlichen Schritten rechnen müsse. Gleichzeitig übermittelte die Anwältin auch Johns Angebot zu einer gemeinsamen, professionell begleiteten Mediation. Um eine mögliche Versöhnung nicht am Finanziellen scheitern zu lassen, bot John sogar an, die Kosten vollständig zu übernehmen.
Anfang Februar 2022 erhielt Frau Fliege daraufhin einen Anruf – Iris ließ ihr Folgendes ausrichten:
Wenn John sein Angebot zur Mediation nicht umgehend und schriftlich zurückziehe, werde sie Strafanzeige gegen ihn erstatten.
Sie habe ein Video, das zeige, wie John sie bedrängt habe. Aus Angst und Verzweiflung habe sie damals telefonisch Freunde zu Hilfe gerufen, die ihn schließlich gewaltsam aus ihrer Wohnung entfernt hätten.
Frau Fliege konfrontierte John mit diesen Vorwürfen. Doch statt Sorge spürte John für einen Moment so etwas wie Erleichterung – zum ersten Mal lag eine klare, überprüfbare Behauptung auf dem Tisch. Und John wusste genau: Diese Situation hatte nie stattgefunden. Es konnte keine Zeugen geben – und auch kein Video.
Im Gespräch machte Frau Fliege deutlich, dass sie bereits erhebliche Zweifel an der Darstellung hatte. Als erfahrene Juristin waren ihr mehrere Unstimmigkeiten aufgefallen, die sie mit John durchging.
Kurz darauf rief John seinen ehemaligen Bandkollegen Noah an. Er schilderte ihm, was er soeben von seiner Anwältin erfahren hatte. John hatte den Eindruck, dass Noah nervös und vorsichtig wirkte. Besonders auffällig fand John, dass Noah wiederholt nach Johns weiteren Plänen fragte. Diese Nachfragen verstärkten Johns Eindruck, dass auch Noah längst ahnte, welches Unrecht John widerfahren war.
John fragte Noah schließlich direkt, ob Iris ihm oder jemand anderem jemals von einem solchen Video erzählt hatte. Noah verneinte das. Das überraschte John nicht – schließlich konnte es ein solches Video gar nicht geben, und mit einer solchen Behauptung hätte sich Iris selbst vollständig entlarvt.
John konnte sich dem Eindruck nicht entziehen, dass Iris bereit war, ihre Version der Geschichte weiter auszubauen – und weiterzutragen.