Der de-facto Ausschluss von Sophia

Am 3. April holte John erneut seine Tochter von der Probe ab. Die Band spielte. John öffnete die Tür, gab sich zu erkennen, schloss sie wieder und wartete vor dem Proberaum. Evelyn, die Lebensgefährtin von Noah, die offensichtlich über den Konflikt bestens informiert war, kam heraus und begrüßte John herzlich mit einer Umarmung. Sie unterhielten sich kurz, bis seine Tochter herauskam. Drei Minuten später saßen sie im Auto und fuhren nach Hause.

Zwei Wochen später holte John seine Tochter wieder von der Probe ab. Er hoffte, dass sich die Situation beruhigt hatte. Schließlich waren alle bisherigen Begegnungen friedlich verlaufen. Er war früh dran, um zu verhindern, dass Sophia wieder alleine vor dem Gebäude warten musste. Die Band probte. Er ging zur Tür, öffnete sie kurz, gab sich zu erkennen und schloss sie wieder.

Dabei begriff er erst im Nachhinein, dass ihm etwa fünf Personen freundlich zugewunken hatten. Sie waren jedoch nicht eindeutig zu identifizieren, da alle die typischen Gesichtsmasken trugen, die während der Pandemie vorgeschrieben waren.

Er öffnete die Tür erneut, winkte freundlich zurück und schloss sie wieder. Es waren nur Sekunden. Etwa eine Minute später kam Sophia heraus, und sie verließen gemeinsam den Ort.

Am nächsten Tag, dem 13. April 2022, erhielt Johns Ehefrau Mia um 12:55 Uhr und um 13:10 Uhr zwei Anrufe von Fritz. Die Gespräche dauerten jeweils 11 Minuten und 41 Sekunden sowie 35 Minuten und 19 Sekunden.

Fritz erklärte, dass er Johns Verhalten, insbesondere das erneute Öffnen der Tür, als aggressiv und provokativ gewertet habe. Er habe Iris sein Wort gegeben, und Johns Vorgehen stelle seine Autorität offen infrage. Er fürchtete um sein Ansehen innerhalb der Gruppe. Er drohte, die Anschuldigungen, die Iris erhoben hatte – die seiner eigenen Aussage nach diffus und abstrakt seien –, öffentlich in der gesamten Gruppe zu verbreiten, sollte John sich nicht an seine Anweisungen halten. So würde die Gruppe verstehen, warum der Kontkt zu John zu unterbinden sei.

Und ein weiterer Satz blieb John im Gedächtnis und wurde von ihm wortwörtlich notiert:

John wird nie wieder bei Dor & Verso spielen, denn er hat gegen die Regeln verstoßen, und die Regeln mach ich!
— Fritz, Niederschrift in den Tagebüchern von John.

Fritz sagte auch, dass das Aggressionspotential bei einigen Beteiligten mittlerweile so hoch sein, dass für die körperliche Integrität von John keine Sicherheit mehr bestehen könnte.

Fritz betonte, dass sie hinsichtlich der Frage, ob Sophia weiterhin Teil der Band sein dürfe, äußerst großzügig gewesen seien. Schließlich sei das Verhältnis zwischen Iris und ihr ebenfalls angespannt, da Sophia ja John’s Toichter ist. Auch die Anwesenheit von Mia – John’s Ehefrau – sei unerwünscht. Er stellte klar, dass Sophia nur unter der Bedingung weiterhin teilnehmen dürfe, dass John und Mia sich nicht mehr vor der Band zu erkennen gäben – weder bei Proben noch bei Auftritten oder sonstigen Veranstaltungen.

Jedes gesunde Kind möchte seinen Eltern zeigen, was es gelernt hat. Es möchte, dass sie stolz auf es sind. Fritz schien diese Erinnerung aus seiner Kindheit vergessen zu haben. Ebenso schien er nicht zu verstehen, dass John sich gegenüber seiner Tochter keinesfalls wie jemand verhalten würde, der Schuld auf sich geladen hat – erst recht nicht, wenn, wie in diesem Fall, Iris offensichtlich als Verursacherin des Konflikts auszumachen war.

Fritz sprach es zwar nicht direkt aus, doch indem er Sophias Teilnahme an Bedingungen knüpfte, denen kein Elternteil zustimmen würde, schloss er sie faktisch aus der Band Dor & Verso aus. Und so kam es auch: Sophia besuchte nie wieder eine Probe dieser Band.

Übrigens waren weder Fritz noch Iris an besagtem Abend anwesend. Fritz hatte sich am Fuß verletzt und konnte nicht zur Probe kommen. Warum Iris nicht da war, erfuhr John nie.